Diese Ausgabe der Theorie und Praxis der Jugendhilfe setzt sich mit dem Thema »Sexualität und Behinderung« auseinander. Wie ein roter Faden zieht sich durch, dass es darauf ankommt, die eigene Sexualität möglichst selbstbestimmt leben zu können. Dieser Teil der Entfaltung der Persönlichkeit bedarf daher einer besonderen Aufmerksamkeit und ist unabhängig vom Geschlecht oder der Behinderung ein pädagogisches Querschnittsthema. Das Forschungsprojekt »Zwischen sexueller Gewalt und sexueller Selbstbestimmung bei Menschen mit geistiger Behinderung« zeigt, dass eine Unterstützung in der Beziehungsgestaltung unerlässlich ist, um übergriffiges Verhalten in einer Partnerschaft zu vermeiden und Beziehungen zu fördern. Das Spannungsfeld liegt darin, auf der einen Seite Schutz zu ermöglichen und auf der anderen Seite das selbstbestimmte Erleben von Sexualität zu fördern.
Wir sind am Anfang des menschenrechtsbasierten Umgangs mit Sexualität. Das Spannende in der Kinder- und Jugendhilfe ist es auch, sich immer wieder auf neue Themen einzulassen, die die jungen Menschen und ihre Familien bewegen. Notwendig ist ein Rahmen, der dies ermöglicht. Das inklusive Kinder- und Jugendhilferecht ist ein Baustein auf dem Weg dahin.
In dieser Ausgabe der Theorie und Praxis der Jugendhilfe wird beschrieben, wie sich die enge Verzahnung von Therapie, Gruppe und Schule in der konzeptionellen Arbeit mit sexuell grenzverletzenden und missbrauchenden Jugendlichen als die drei Säulen der Behandlung bewährt hat. Die jungen Menschen haben sich durch die Übergriffe stark verändert. Sie zeigen oft deutliche psychiatrische Auffälligkeiten wie zum Beispiel tiefgreifende Entwicklungsstörungen, posttraumatische Belastungsstörungen oder delinquentes Verhalten. Wie in dem Zitat erwähnt, stehen oftmals eigene Traumatisierungen durch selbst erlebte Gewalt und/oder Vernachlässigung im Vordergrund. Hinzu kommen Suchtmittelabhängigkeiten, digitale Süchte oder Pornografiesucht. Durch die Beleuchtung des Aspektes der Grenzverletzungen unter jungen Menschen im Netz zeigen sich die verfrühten Zugänge zu Internetpornografie, Sexting und Erfahrungen mit Grenzverletzungen unter Heranwachsenden. Die Interviews in der vorliegenden Theorie und Praxis der Jugendhilfe greifen offene Fragen zum Thema auf. Deutlich werden dabei die Bedeutung der transgenerationalen Weitergabe von sexuell übergriffigem Verhalten ebenso wie die medialen Einflüsse, da sich viele junge Menschen auf der Suche nach der eigenen Sexualität in den Medien orientieren.
Die Bindungsbeziehungen von Kindern innerhalb und außerhalb der Familie sind ein entscheidender Faktor für das Wohlbefinden. Die Grundbedürfnisse Bindung, Kompetenz und Autonomie beschreiben zum einen zwischenmenschliche Beziehungen, die Interaktion mit der Umwelt und positive Ergebnisse sowie die freie Bestimmung des eigenen Handelns.
Die vorliegende "Theorie und Praxis der Jugendhilfe" mit dem multiperspektivischen Blick auf die Grundlagen und die Praxis des Themas Bindung zeigt einen spannenden Überblick und vermittelt, wie wesentlich das Thema für die jungen Menschen in ihrem Aufwachsen ist. Die Fachkräfte und die pädagogische Arbeit sind elementar, um die Entwicklung mit positiven Bindungserfahrungen zu fördern und Resilienz auszubilden. Ein Weg, um dieses zu erreichen, liegt in der Transparenz der Erziehung, einer Beteiligung der jungen Menschen, den Regeln, die zur Lebenssituation der Kinder und Jugendlichen passen sowie der Gleichwürdigkeit.
Perspektiven auf das Thema Bindung in diesem Buch sind beispielsweise Strafrecht und Bindung mit der Frage »Wie wird diese auch durch das Recht geschützt?« zum Beispiel im Kontext von Schweigepflicht, kleine Kinder in der stationären Jugendhilfe mit der Frage »Bindung als pädagogische Aufgabe?« sowie Sensibilität als Aspekt einer bindungsgerechten Kita-Arbeit mit der Darstellung, dass es notwendig ist, Antworten auf die Bedürfnisse der Kinder zu finden.
Die vorliegende Ausgabe der "Theorie und Praxis der Jugendhilfe" zeigt auf, wie wichtig sexualpädagogische Konzeptionen in der Kinder- und Jugendhilfe vor dem Hintergrund der Erfahrungen junger Menschen sind und wirft ein Schlaglicht auf die Bedeutung des Wissens zur sexuellen Entwicklung. Grundsätzlich sind benachteiligte junge Menschen aufgrund ihrer seelischen und körperlichen Bedürftigkeit, fehlender elterlicher Fürsorge oder unzureichenden Wissens über sexuelle Themen besonders vulnerabel. Weiter besagen die Ausführungen der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, dass Informationen und Erkenntnisse nur eingeschränkt vorliegen. In einer über 20-jährigen Entwicklung mit externer Begleitung wurde so nicht nur der Gefahrenschutz in den Mittelpunkt gestellt, sondern ebenso die stärkende wohltuende Seite von Sexualität für jeden Menschen. Geprägt war der Anfang, wie so oft, durch den Schutzgedanken aufgrund eines Übergriffs unter Jugendlichen. Das Konzept kann je nach Betreuungskontext, der individuellen Lage der Kinder, Jugendlichen und Familien situationsbezogen in der Praxis ausgestaltet und mit Leben gefüllt werden. Die Haltung ist hierbei das tragende Element neben Reflexionsfragen Wir danken der Evangelischen Jugendhilfe Hochdorf im Kreis Ludwigsburg e. V. für diese Veröffentlichung.